Das politische Weltsystem, an das wir uns gewöhnt hatten, wankt und droht zusammenzubrechen. Virus und zunehmendes Misstrauen zwingen und halten uns auf Abstand. Einem Menschen in die Augen zu blicken, sich auf sein Innerstes zu konzentrieren war zwei Jahre kaum möglich. Gerade darin ist aber eine Welt verborgen – denn diese Blicke bereichern und fordern mich. Sie zehren an mir und meinen Gedanken. Wer sind wir? Wer bin ich? Wer ist der Andere?

In den Fotostudios des analogen Zeitalters hatten inszenierte Blicke eine wichtige Funktion. Darin sollte die Persönlichkeit der Person ablesbar sein. Hinter den routinierten Standards der jeweiligen Fotoateliers sind die Schichtungen vom Wesen eines Menschen aber allenfalls zu ahnen. Der Spiegel der Seele bleibt allzuoft trüb. Und doch führen uns diese Spuren menschlicher Existenz näher an die Fragen: – wer wir sind – was ein Einzelportrait übermitteln kann – und ob unter der Oberfläche des Abbildes etwas zu entdecken ist. Wenn nun aus heutiger Sicht darauf geblickt wird und mit medialen Mitteln und künstlerischen Interventionsmöglichkeiten manch scheinbare Sicherheit durchbrochen wird, dann erhalten wir in diesen gebrochenen oder verstärkten und fragenden Portraits und Blicken eine Ahnung von der Zerbrechlichkeit menschlicher Inszenierungen und von der Tiefe des Seins.
Etwas, was in unserer auf Abstand bedachten Maskenzeit ins Nichtwahrnehmbare abgesunken war.